Zwei-Klassen-Tierschutz: Der Verwendungszweck bestimmt die Haltungsbedingungen (Teil 2)

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Achtung, dieser Post ist bereits aus dem Jahr 2017. Einige Informationen könnten veraltet sein.
Nach den Erläuterungen zum „Speziesismus“ im Tierschutzrecht geht es im heutigen 2. Teil unseres Gastbeitrags von DDr. Regina Binder, Expertin für Tierschutzrecht an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, um die unterschiedliche Regelungen, die das Tierschutzrecht für die Haltung von Nutz- und Heimtieren sowie für die an diesen Tieren zulässigen Eingriffen vorsieht.
Zwei-Klassen-Tierschutz

(Foto: Pixabay)

Nutzen wichtiger als Tierschutz?

Besonders deutlich manifestiert sich der Zwei-Klassen-Tierschutz in den tierschutzrechtlichen Mindestanforderungen, die bei der Haltung der einzelnen Tierarten eingehalten werden müssen. Dabei geht es u.a. darum, wieviel Platz den Tieren zur Verfügung stehen muss, wie die Boden und Stallungen beschaffen sein müssen und ob den Tieren Sozialkontakt zu Artgenossen ermöglicht werden muss. Wenn es um Nutztiere geht, werden diese Mindestanforderungen unter Berücksichtigung ihrer ökonomischen Auswirkungen auf die Kosten für die Produktion tierischer Erzeugnisse festgelegt. Diese, im Tierschutzgesetz verankerte Verpflichtung verschiebt den Stellenwert der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die tierlichen Bedürfnisse zugunsten der Rentabilität und wird regelmäßig dazu verwendet, begründete Forderungen nach einer Verbesserung der Mindestanforderungen auszuhebeln. Nutzungserwägungen haben damit grundsätzlich immer Vorrang vor dem Anliegen des Tierschutzes, sodass das Tierschutzrecht auch als „Tiernutzungsrecht“ bezeichnet werden kann.

wikimedia commons, Stephen Fulljames, CC BY 2.0Auch wenn es um ein und dieselbe Tierart geht, richten sich die Mindestanforderungen an die Haltung nach dem Nutzungszweck. Erst kürzlich hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt5, dass Wachteln, die zur Eiproduktion gehalten werden, dem Geltungsbereich der für Nutztiere maßgeblichen Vorschriften unterliegen und daher nicht nach den höheren Anforderungen der 2. Tierhaltungsverordnung gehalten werden müssen.

Das vielleicht deutlichste Beispiel für die Ungleichbehandlung von Tieren stammt aus der Schweinehaltung: Nach den in der Nutztierhaltungsverordnung festgelegten Mindestanforderungen an die Haltung von Schweinen6 muss einem Mastschwein, dessen Gewicht zwischen 85 und 110 kg liegt, ein Platzangebot von 0,70 m² zur Verfügung stehen, während ein Minipig über immerhin über 2 m² Stallfläche und eine 10 m² große Auslauffläche verfügen muss. Mastschweine dürfen zudem auf Vollspaltenboden gehalten werden, während Miniaturschweinen ein eingestreuter Liegebereich und eine Suhle zur Verfügung stehen müssen.

Eingriffe zur Erleichterung der Haltung

Auch im Zusammenhang mit Eingriffen zeigt sich der Zwei-Klassen-Tierschutz überaus deutlich: An Heimtieren sind – abgesehen von der Kastration – so gut wie alle chirurgischen Maßnahmen verboten, wenn sie nicht veterinärmedizinisch indiziert sind. So ist es z.B. ausdrücklich unzulässig, Hunden Schwanz oder Ohren zu kupieren, Katzen die Krallen zu ziehen und die Duftdrüsen von Frettchen zu entfernen.

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Enthorntes Kalb (Foto: Pixabay)

An landwirtschaftlichen Nutztieren hingegen darf eine Reihe von Eingriffen vorgenommen werden, die dazu dienen, die Haltung bzw. Nutzung der Tiere zu erleichtern oder die Entstehung unerwünschter Eigenschaften (z.B. den Ebergeruch) zu verhindern. Hier ist insbesondere an das Enthornen von Kälbern bzw. Rindern und Ziegenkitzen, an das Kupieren des Schwanzes von Kälbern, Schafen und Ferkeln, an das Kürzen des Schnabels von Eintagskücken und an das Kastrieren der männlichen Ferkel zu denken. Nicht genug damit, dass diese Eingriffe überhaupt durchgeführt werden dürfen, ist es in vielen Fällen sogar zulässig, sie trotz erheblicher akuter und postoperativer Schmerzen ohne Narkose und Schmerzbehandlung durchzuführen.

Nur punktuelle Verbesserung im Tierschutzrecht angedacht

Ein derzeit vorliegender Entwurf zur Novellierung der Nutztierhaltungsverordnung sieht in diesem Zusammenhang zwar punktuelle und längst überfällige Verbesserungen vor, doch bleiben wesentliche Tierschutzprobleme weiterhin ungelöst. Positiv ist, dass die Zerstörung der Hornanlage von Kälbern, die derzeit bis zur 2. Lebenswoche der Tiere ohne Anästhesie und Analgesie mit einem bestimmten Gerät ausgebrannt werden darf, künftig nur noch unter Lokalanästhesie und postoperativer Anwendung von Schmerzmitteln zulässig sein soll. Der Schwanz von Lämmern und Ferkeln soll zwar bis zu einer bestimmten Altersgrenze weiterhin ohne Betäubung kupiert werden dürfen, doch soll es immerhin verpflichtend sein, den Tieren Schmerzmittel zu verabreichen.

Zwei-Klassen-Tierschutz

(Foto: Pixabay)

Schwerwiegende Tierschutzprobleme bleiben jedoch weiterhin bestehen: So soll das Enthornen von Ziegenkitzen, die zur Haltung in Milchziegenbetrieben vorgesehen sind, nach einer wechselvollen Entwicklung neuerlich zugelassen werden, obwohl dieser Eingriff aufgrund der Schädelanatomie der Tiere (geringe Schädelgröße im Vergleich zur Hornanlage) trotz verpflichtender Betäubung und Schmerbehandlung äußerst belastend ist. Das Argument, mit dem die Erforderlichkeit des Eingriffs begründet wird, besteht darin, dass behornte Ziegen einander schwere Verletzungen zufügen können. Dies kann in der Tat der Fall sein, wenn die Haltungsumwelt den Verhaltensansprüchen der Ziegen nicht entspricht. Eine wissenschaftliche Untersuchung, die zum Zweck der Abklärung dieser Problematik in Auftrag gegeben wurde, zeigt jedoch, dass es sehr wohl möglich ist, behornte Milchziegen und gemischte Herden (d.h. behornte und unbehornte Tiere) unter entsprechenden Umwelt- und Managementbedingungen ohne erhöhtes Verletzungsrisiko zu halten7.

ferkel pixabayAuch die chirurgische Kastration männlicher Ferkel soll nach dem Entwurf bis auf Weiteres ohne Narkose zulässig bleiben, doch soll es künftig verpflichtend sein, den Tieren ein Schmerzmittel zu verabreichen. Dies ist eine weniger als halbherzige Lösung, wenn man bedenkt, dass ein im Ausland bewährter und auch in der EU zugelassener Impfstoff zur Verfügung steht, der die Entstehung des Ebergeruchs unterbindet und es somit ermöglicht, auf die chirurgische Kastration gänzlich zu verzichten.

Der Grund für diese Eingriffsregelungen ist wirtschaftlicher Natur: Während chirurgische Maßnahmen, wie etwa die Kastration von Heimtieren, nur von TierärztInnen durchgeführt werden dürfen, ist es tierschutzrechtlich zulässig, dass dieselben Maßnahmen an Nutztieren von Personen ohne nachgewiesene Schulung vorgenommen werden. Diese medizinischen Laien sind jedoch – aus gutem Grund – nicht befugt, Betäubungsmittel zu beziehen und anzuwenden.

Quellen:

5 VwGH, Ra 2016/02/0178 v. 16.12.2016.
6 Vgl. Anlage 5, Tabelle 5..2., zur 1. Tierhaltungsverordnung, BGBl. II Nr. 485/2004, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 61/2012 (Novellierung in Vorbereitung).
7 S. Waiblinger et al. (2009): Haltung von behornten und unbehornten Milchziegen in Großgruppen. Formungsprojekt 100191, Endbericht 2009. https://www.verbrauchergesundheit.gv.at/tiere/publikationen/studien/Ziegen_Endbericht_Juli_2010_Haltung_in_Gro__gruppen.pdf?5iigcn

Logo Tierschutzgesetz-DokumentationsstelleDr. iur. Dr. phil. Regina Binder ist Leiterin der Informations- und Dokumentationsstelle für Tierschutz- & Veterinärrecht an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, Institut für Tierhaltung und Tierschutz.
Als Serviceeinrichtung steht die Dokumentations- und Informationsstelle für Tierschutz- und Veterinärrecht allen Universitätsangehörigen, Behörden und der interessierten Öffentlichkeit für rechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Mensch-Tier-Beziehung zur Verfügung.

www.vetmeduni.ac.at/tierschutzrecht/
regina.binder@vetmeduni.ac.at

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Ein Artikel von der Ethik.Guide-Redaktion
veröffentlicht am 20.02.2017
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