Sprachkunst, die Tieren eine Stimme gibt

Achtung, dieser Post ist bereits aus dem Jahr 2017. Einige Informationen könnten veraltet sein.
Wir lieben Tiere. Und das tut auch eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern, die – die Welt beobachtend – in die Haut von Tieren schlüpfen und versuchen, die Welt aus deren Augen zu betrachten. Am heutigen Welttag der Poesie ziehen wir den Hut vor jenen Autoren, die mit ihrer Sprachkunst den Tieren eine Stimme geben. Die UNESCO hat den 21. März als Welttag der Poesie ausgerufen, er wird seit dem Jahr 2000 begangen. In diesem Jahr stellt euch das animal.fair-Team zu diesem Anlass einige Tiergedichte vor – oder ruft sie wieder in Erinnerung…
panther

(Foto: © By Rute Martins of Leoa’s Photography, www.leoa.co.za, CC BY-SA 3.0)

Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

– Rainer Maria Rilke

maus

(Foto: © Michael Becker, CC-BY-SA-3.0)

Huldigung allen Fliegen, Spinnen, Fischen, Mäusen und Hunden

Warte auf Regen
dann kaufe

einen Fliegenfänger
einen Besen
eine Angel
eine Mausefalle
und ein Halsband

Auf dem Heimweg rede kein unnötiges Wort

Zu Hause zünde drei Kerzen an
alle verschieden groß
lege davor einen Gedichtband
ein Buch über den Kosmos
und ein Buch mit philosophischen Abhandlungen
Dann

zertrete den Fliegenfänger
zerbreche den Besen
zerreiße die Angel
zerschlage die Falle
zerschneide das Halsband

und verbrenne alles
oder wirf es in die Mülltonne

– Jiří Kolář

kuh

(Foto: Pixabay, DomenicBlair)

Kuh beim Fressen

Sie wiegt die breite Brust an holziger Krippe
Und frisst. Seht, sie zermalmt ein Hämchen jetzt!
Es schaut noch eine zeitlang spitz aus ihrer Lippe
Sie malmt es sorgsam, dass sie’s nicht zerfetzt.

Ihr Leib ist dick, ihr trauriges Aug bejahrt.
Gewöhnt des Bösen zaudert sie beim Kauen
Seit Jahren mit emporgezogenen Brauen.
Die wunderts nicht, wenn ihr dazwischenfahrt.

Und während sie sich noch mit Heu versieht
Entzieht ihr einer Milch, sie duldet’s stumm
Dass seine Hand an ihrem Euter reißt.

Sie kennt die Hand, sie schaut nicht einmal um
Sie will nicht wissen, was mit ihr geschieht
Und nützt die Abendstimmung aus und scheißt.

– Bertold Brecht

fuchs

(Foto: publicdomainpictures.net, Linnaea Mallette)

Die Füchsin

Weil der Schnee tief ist
und fleckenlos das weiße Fallen durch weiße Luft

Weil sie ein wenig hinkt – blutet
wo sie sie trafen

Weil Jäger Flinten haben
und Hunde Henkerbeine

Weil ich sie gerne in meine Arme nehmen möchte
und ihre Wunden pflegen

Weil sie sich nicht erlauben kann zu sterben
und die Jungen umzubringen in ihrem Bauch

Weiß ich nicht was ich sagen soll wenn ein Soldat stirbt
weil es im Tod keine Maßstäbe gibt.

– Kenneth Patchen

muecke

(Foto: flickr.com, Ton Rulkens)

Die Mücke

Ein leises Gesurr. Auf meine Hand
sinkt flügelschwirrend eine Mücke nieder,
ein Hauch von einem Leib, sechs zarte Glieder –
Wo kam sie her aus winterlichem Land?

Ein Rüssel … schlag ich zu? Mißgönn ich ihr
den Tropfen Blut, der solches Wesen nährt?
Den leichten Schmerz, den mir der Stich gewährt?
Sie handelt, wie sie muß. Bin ich ein Tier?

So stich nur zu, du kleine Flügelseele,
solang mein Blutgefäß dich nähren mag,
solang du sorgst um deinen kurzen Tag!

Stich zu, daß es dir nicht an Kräften fehle!
Wir sind ja beide, Mensch und Mücke, nichts
als kleine Schatten eines großen Lichts.

– Albrecht Haushofer

vogel

(Foto: Pixabay, cocoparisienne)

Vor meinem Fenster

Vor meinem Fenster
singt ein Vogel.
Still hör ich zu;
mein Herz vergeht.

Er singt,
was ich als Kind besaß,
und dann vergaß.

– Arno Holz

zoo

Mensch und Tier

Ich war im Garten, wo sie all die Tiere
gefangen halten; glücklich schienen viele,
in heitern Zwingern treibend muntre Spiele,
doch andre hatten Augen, tote, stiere.

Ein Silberfuchs, ein wunderzierlich Wesen,
besah mich unbewegt mit stillen Blicken.
Er schien so klug sich in sein Los zu schicken,
doch konnte ich in seinem Innern lesen.

Und andre sah ich mit verwandten Mienen
und andre rastlos hinter starren Gittern –
und wunder Liebe fühlt ich mich erzittern,
und meine Seele wurde eins mit ihnen.

– Christian Morgenstern

schnecke

Zu guter Letzt

Als Kind wußte ich:
Jeder Schmetterling
den ich rette
Jede Schnecke
und jede Spinne
und jede Mücke
jeder Ohrwurm
und jeder Regenwurm
wird kommen und weinen
wenn ich begraben werde

Einmal von mir gerettet
muß keines mehr sterben
Alle werden sie kommen
zu meinem Begräbnis

Als ich dann groß wurde
erkannte ich:
Das ist Unsinn
Keines wird kommen
ich überlebe sie alle

Jetzt im Alter
frage ich: Wenn ich sie aber
rette bis ganz zuletzt
kommen doch vielleicht zwei oder drei?

– Erich Fried

 

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Ein Artikel von Petra
veröffentlicht am 21.03.2017
Mitbegründerin des Ethik.Guide und von animal.fair. Leidenschaftliche Köchin, Fermentista und neuerdings auch Brotbäckerin. Apropos: im Brotberuf Journalistin.
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