Im Bann des Lake District, Englands blau-grüner Perle

Achtung, dieser Post ist bereits aus dem Jahr 2019. Einige Informationen könnten veraltet sein.
Raue Schönheit… genau davon ist der Lake District in der nordwestenglischen Grafschaft Cumbria geprägt. Neben vielen NaturtouristInnen lockt er auch immer wieder LiteratInnen an. Peter Rabbit oder Benjamin Bunny flossen dort aus der Feder von Beatrix Potter – lange bevor es Harry Potter gab. Mit dem Lake Windermere nennt das Gebiet den größten See Englands sein Eigen – samt den vielen schönen Ausflugszielen an seinen geschichtsträchtigen Ufern. Das Blau der Gewässer und das Grün der Gräser und Bäume dominieren ein idyllisches Landschaftsbild.
Lake District

Lake Windermere bei Ambleside (Foto: © Alexander Willer)

Eingetaucht in den Lake Windermere

Kelten, Römer, Angelsachsen, Wikinger, alle hinterließen sie ihre Spuren im Lake District. In Ambleside kann man in unmittelbarer Nähe des Lake Windermere die Reste eines römischen Forts besichtigen. Der See selbst leitet seinen Namen vom schwedischen Wikingerführer Winander her, was im Laufe der Jahrhunderte zu Winder verballhornt wurde. Und ‚mere‘ steht einfach für ‚See‘ – Winanders See. Moment! Steckt da nicht auch der deutsche Begriff ‚Meer‘ drinnen? Offensichtlich wurde dieses Wort im germanischen Sprachraum einst synonym für ‚großes Wasser‘ verwendet. Meinem linguistisch neugierigen Ohr fiel im Nordwestenglischen noch eine weitere Ähnlichkeit zum Deutschen auf. Ein ‚beck‘ ist z.B. ein Wildbach.

Wie bereits erwähnt, ist der Lake Windermere der größte See Englands; mit einer Länge von 18 km und einer maximalen Breite von 1,5 km. An seiner tiefsten Stelle misst das kühle Nass immerhin 65 m. Ein Eldorado für WassersportlerInnen. Der Lake District ist die regenreichste Zone des ohnehin nicht regenarmen Landes. Seit 1894 versorgt die 16-Seen-Region den knapp hundert Kilometer südlich gelegenen Großraum Manchester mit Trinkwasser. Um sich die schiere Menge zu vergegenwärtigen: Das sind 220 Mio. Liter pro Tag oder 10.000 vollgeladene Tank-LKWs.

Den See und seine Umgebung erkundet man am besten mit einer der Fähren.

Lake District

Stadtkern von Ambleside mit Daisy’s Cafe (Foto: © Alexander Willer)

Ambling along in Ambleside

Das Churchill Inn, ein mit den für die Gegend charakteristischen Schieferplatten verkleideter Gasthof, war mein Stütz- und Ruhepunkt, von dem ich ausschwärmte. Vom Hauptplatz des 2.600 EinwohnerInnen zählenden Städtchens versorgt ein in knappen Intervallen fahrendes Busliniensystem die nähere und mittlere Umgebung. Ambleside selbst bietet Beschaulichkeit. Im Englischen steht „to amble along“ für ‚flanieren, herumschlendern‘ – genau das kann man dort wunderbar. Sei es das verwunschen wirkende Bridge House oder ein stärkender Sojamilchkaffee in Daisy’s Cafe, einem Gebäude wie aus dem England-Bilderbuch; vieles ist einen Besuch wert. Mit dem Zeffirelli’s und dem Fellini’s verfügt Ambleside sogar über drei (!) Kino-Locations. Das Fellini’s beinhaltet zudem ein Restaurant, das auch gehobene vegane Küche anbietet. Hunde sind in Ambleside – wie im Lake District generell – meist ausdrücklich willkommen.

Lake District

Wie im Land der Elben (Foto: © Alexander Willer)

Coddiwompling zum Wasserfall

Knapp außerhalb der Stadt führt ein Weg zum Stock Ghyll Force, einem Wasserfall, der inmitten üppiger Vegetation tost und schäumt. Der Aufstieg durch den Wald ist mit gutem Schuhwerk auch für ungeübte Outdoorfreunde ohne größere Mühen machbar. Und im Vergleich zur mittleren Anstrengung lohnt sich der Ausblick tausendfach. Ab einem gewissen Zeitpunkt glaubt man, ein Portal durchschritten und im Land der Elben angekommen zu sein. Da ich die Wanderung an einem Regentag unternahm, gehörte die Route, abgesehen von vereinzelt auftauchenden Zweibeinern, fast mir alleine. Nur ein Kaninchen hoppelte raschelnd und näselnd durchs Unterholz; was aber keine Störung, sondern eine willkommene Draufgabe darstellte. Ich genoss den Wald und ging beim Abstieg mal diesen Weg, dann jenen, mich von der bemoosten Schönheit der Bäume und der mitreißenden Kraft des Wassers leiten lassend. Auch dafür haben die Briten ein lautmalerisches Wort, das klingt, als hätten es Hobbits erfunden: ‚to coddiwomple‘, was so viel bedeutet, wie zielbewusst ins Unbekannte gehen.

World of Beatrix Potter, Jemima Puddle-Duck

Bei Miss Potter in Bowness

Stichwort hoppelnde Wesen. Von Ambleside zwanzig Busminuten entfernt liegt Bowness, die vielleicht schönste Stadt am Lake Windermere. Tourismusmagnet ist ‚World of Beatrix Potter‘, ein Ausstellungs- und Erlebniszentrum für Klein und Groß. Dort steht alles im Zeichen der bekannten Kinderbuchautorin, die Anfang des 20. Jahrhunderts ganz England mit ihren Fabelwesen bezauberte. Peter Rabbit, seine Schwestern Flopsy, Mopsy und Cotton-Tail, Cousin Benjamin Bunny, Jemima Puddle-Duck und viele mehr stammen aus Beatrix Potters kreativer Hand. Zudem galt die Autorin/Illustratorin als engagierte und streitbare Naturschützerin. Selbstverständlich machte ich den Kinderbuchlieblingen meine Aufwartung.

Windermere, Haverthwaite und Lakeland

Die Stadt Windermere wurde 1847 ans Eisenbahnnetz angebunden und erlebte seither einen Boom vom verschlafenen Fischerort zum Ausflugszentrum. Vor allem die reichen ViktorianerInnen kurten dort. Den Dichter William Wordsworth (1770-1850), ebenfalls ein Bewohner des Lake Districts, erfreute die Ankunft der Dampflok wenig. Er sah das country life durch sie gestört und schrieb Protestepisteln. Ganz im Gegensatz zu mir. In Lakeland bestieg ich den historischen Zug zur Haverthwaite Station, der möglicherweise schönsten Bahnstation Englands. An Bord dieser steam engine werden Bubenträume wahr, das innere Kind frohlockt – ebenso wie im Lakeland Motor Museum, das ein wunderbares Sammelsurium an noblen Oldtimern wie auch antiquierten Tret- und Motorrädern ausstellt.

In der Bibliothek von Windermere läuft eine berührende Ausstellung mit dem Titel „From Ausschwitz to Ambleside“, die Zeugnis gibt von 300 jüdischen Kindern, die aus KZs befreit und in den Lake District zur Erholung und Enttraumatisierung geflogen wurden.

Lake District

Haverthwaite Station – Bahnstation wie aus dem Bilderbuch (Foto: © Alexander Willer)

Lady Emma ruft

Als ich den Lake District wieder in Richtung Manchester verließ, wo übrigens mit der Chetham’s Library, die älteste noch erhaltene öffentliche Bibliothek des angelsächsischen Sprachraums steht, war ich voll der positiven Erlebnisse und neuartigen Eindrücke. All das Gesehene ist daran, langsam verinnerlicht und zum fixen Teil meiner Persönlichkeit zu werden, die bereits jetzt laut nach einer Wiederkehr schreit.

Vor allem der Ruf des Aira Force hat mich ereilt. Dieser Wasserfall weiter nördlich im Lake District spielt im schaurigen Gedicht „The Somnambulist“ von William Wordsworth eine Rolle. Es hat die tragische Liebe zwischen dem Ritter Sir Eglamore und seiner schlafwandelnden Lady Emma zum Inhalt. Always close but never together…

Lake District

Der Autor am Lake Windermere (Foto: © Alexander Willer)

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Ein Artikel von Alexander
veröffentlicht am 24.09.2019
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